© Heimat und Geschichtsfreunde Rommerz

Erwin Rübsam Fulda den, 15.2.2012
 
 
Mit den Beschlüssen der Konferenz von Potsdam in der Zeit vom 17.7 - 2.8.1945, Gipfeltreffen der "großen Drei" Josef Stalin, Harry Truman und Winston Churchill, später Clement Attlee, wird die Oder Neiße Linie auf Druck Stalins als die neue polnische Westgrenze festgelegt. Die deutschen Gebiete östlich dieser Grenzziehung geraten zunächst unter polnische Verwaltung und werden späterhin Polen einverleibt als Entschädigung für die an die Sowjetunion abzutretenden polnische Ostgebiete.
Gleichzeitig stimmen die Westmächte zur Bereinigung der völkischen Überlagerungen der Überführung bzw. Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten östlich der Oder Neiße Linie sowie aus Landesteilen Polens, Ungarns und der Tschechoslowakei zu. Damit wird die bereits in vollem Gange befindliche Ausweisung der Deutschen aus ihrer angestammten Heimat legalisiert. Wie es in den Potsdamer Beschlüssen heißt, soll die "Überführung der deutschen Bevölkerung oder Bevölkerungselemente nach Deutschland in geregelter und menschlicher Weise abgewickelt werden". Dieser Grundsatz wird in der Folge gröblichst missachtet, da die Aussiedlung für einen Großteil der Betroffenen auf unmenschliche und brutale Weise vor sich geht.
Die Ausgewiesenen dürfen nur das mitnehmen, was sie am Körper tragen, also Kleidungsstücke. An Handgepäck sind - unterschiedlich in den Bezirken - 20 kg -50 kg erlaubt. Oftmals werden die Bündel und Koffer durchsucht und ausgeplündert. Statistiken geben  an, dass etwa 12 Millionen Deutsche vertrieben wurden. Hierbei wird die Zahl der Vermissten und Toten mit etwa zwei Millionen angegeben. Gedenken wir der Opfer der Flüchtlingstransportschiffe auf der Ostsee, die mit der Passage auf der Gustloff, der Goya und Steuben Rettung erhofften!

Die Gemeinde Rommerz hatte das Glück, von Bombenabwürfen verschont zu bleiben. Infolgedessen ist die Wohnraumsituation intakt. So werden der Gemeinde im Laufe der Kriegsjahre von 1942 an Evakuierte zugewiesen, die infolge von Bombadierungen ihre Wohnungen verloren haben. Dir mir in Rommerz bekannten Familien kommen aus dem Raum Saarbrücken, aus dem Rhein - Main - Gebiet und dem Ruhrpott. In den ihnen zugewiesenen Räumlichkeiten können sich die Ausgebombten noch relativ wohnlich einrichten.

Mit Beginn des Jahres 1945, die Sowjetarmee hat bereits erhebliche Teile Ostdeutschlands besetzt, treffen die ersten Flüchtlinge aus Ostpreußen und Schlesien in Rommerz ein. Späterhin finden in den drei Westzonen (Bundesrepublik) etwa 8 Millionen Flüchtlinge wie Vertriebene Aufnahme und eine notdürftige Zuflucht. In den von den Kriegshandlungen vielfach stark zerstörten Städten und Dörfern mit bereits aufgenommenen Ausgebombten, nicht mehr vorhandenen Wohnraum und einer allgemeinen katastrophalen Versorgungslage ergeben sich kaum lösbare Aufgaben.

Die im Rahmen der Potsdamer Konferenz getroffenen Festlegungen sehen in der Tschechoslowakei eine von Verwaltungsstellen organisierte wie überwachte Ausweisung vor. Die Maßnahmen setzen im Januar 1946 ein. Die Ausweisung betrifft 3 Millionen Deutsche aus dem Sudetenland und zahlreichen deutscher Sprachinseln. Auch hier ist es gestattet,nach Möglichkeiten Kleidung, 30 Kg - 50 Kg Gepäck und in unterschiedlicher Höhe 200 bis 1 000 RM mitzuführen. Eine behördliche Maßnahme verpflichtet die Deutschen, eine weiße Armbinde zu tragen. Wie es amtlich heißt, sollen Familien infolge der Erfassung und des Abtransports nicht auseinandergerissen werden. Arbeitsfähige Personen in Spezialberufen werden vielfach zum weiteren Einsatz in ihren Betrieben oder Dienststelllen zurückbehalten. Im Verlaufe der Ausweisungsmaßnahmen kommt es auch hier vielfach zu Ausplünderungen der wenigen Habseligkeiten und abscheulichen Vergeltungsübergriffen wehrloser Menschen gegenüber. Nach Feststellungen verlieren hier ca. 25 000 Vertriebene durch Erschlagen, Ertränken, Erschießen sowie Krankheit, Hunger und Erschöpfung das Leben. Schreckliche Beispiele für Maßnahmen der Vergeltung sind der Todesmarsch von Brünn, die Rache an Deutschen in Prag und das grausame Vorgehen gegenüber Verwundeten und schwerverletzter Soldaten in deutschen Lazarettzügen in Prager Bahnhöfen.

Gleichermaßen beklagen die leidgeprüften Menschen in der Tschechoslowakei unzählige Greultaten der Nazi-Schergen. So bleiben beispielweise Abscheu und Schrecken nach dem Attentat auf Reinhard Heydrich in Erinnerung, als die SS im Zuge der sogenannten Vergeltung den Ort Lidice dem Erdboden gleichmacht, die Bewohner ermordet und die Kinder verschleppt.
Die Verfrachtung der Vertriebenen aus der Tschechoslowakei erfogt durch die Bahn.Die Weiße Armbinde wird nach dem Grenzübertritt nach Bayern mit spürbarer Erleichterung abgeworfen. Die Sudetendeutschen und Egerländer, die der Gemeinde Rommerz zugewiesen werden, kommen größtenteils aus dem Raum Eger-Falkenau-Karlsbad. Über die Verteilungszentrale in Fulda kommen die Transporte per Bus Mitte Juni 1946 in Rommerz an. Die erste Aufnahme-, Versorgungs- und Verteilungs- station ist die Gaststätte Imhof. Etwa 150 Heimatvertriebene, Kinder, Jugendliche, Frauen sowie Frauen und Männer der älteren Generation, müssen eine Unterkunft finden. Junge Männer und Väter sind gefallen oder befinden sich in Gefangenenlagern. Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung beherrschen die Empfindungen der auf ihre Zuweisung wartenden Vertriebenen. Was wird aus uns? Können wir nicht alsbald wieder zurückkehren? Mit großer Trauer und unter Tränen haben die Ausgewiesenen ihre Heimat verlassen müssen, dabei Wohnung, Haus, Geschäft wie auch das landwirtschaftliche Anwesen mit allen Einrichtungen und Tieren verloren.

Im Vorfeld der Zuweisung des Vertriebenenkontigents ist es Aufgabe eines Gremiums politisch unbelastete Bürger gewesen, den in der Gemeinde verfügbaren Wohnraum zu erfassen. Mein Vater, Karl Rübsam, gehörte auch dieser Kommision an, die durch Befragung der Hausbesitzer wie auch Besichtigungen der Räumlichkeiten belegbare Wohnungen wie auch Zimmer feststellen musste. Der Auftrag war ein recht schwieriges Unterfangen, da in zahlreichen Fällen Einquartierungen mit Ausflüchten verschiedenster Art abgewert wurden. Mit Blick zurück muss gesagt werden, dass viele Bürger bei der allgemeinen Notlage nach Kreigsende mental wie auch sozial überfordert waren, diese außergewöhnliche Herausforderung anzunehmen. Wie stand es in diesen Wochen um das christliche Postulat, Wohltätigkeit zu beweisen und die Not Bedrängter zu lindern?

Wie steht es nun um die Räumlichkeiten? Wohnungen in heutigen Sinne mit Küche und sanitären Einrichtungen sind kaum vorhanden. Häufig sind es Einzelzimmer oder gar Dachkammern, die belegt werden müssen. Als Koch- und Wärmestelle dient ein Kanonenofen. Zur Toilette gehts`s über den Hof. Zinkwanne  oder gar ein Eimer dienen der Körperpflege. Nur selten ist es möglich, dass Familien wie auch Verwandte zusammen bleiben können, indem mehrere immer in einem Haus bereit stehen. Auch die noch vorhandenen Auszugshäuschen bieten ebenso nur eine bescheidene Unterkunft. Besondere Bedeutung im Zuge der Unterbringung kommt dem ehemaligen Schwesternhaus zu, im Dritten Reich beschlagnahmt und als BDM Heim genutzt. Die größeren Räumlichkeiten lassen die Unterbringung mehrerer Familien zu.

Anerkennend und würdigend muss Erwähnung finden, dass die "Neubürger" den Kopf nicht in den Sand stecken und resignieren. Sie bewahren sich ihre Lebensart, ihre Sitten und Bräuche und nehmen die ihnen augegebene neue Gesellschaftssituation mit wachem Interesse wahr. Da bildet sich recht rasch ein regelmäßiger Stammtisch in der Wirtsstube bei Imhofs, markiert mit einem historischen Druck der Heimatstadt Eger. Alsbald werden Heimatabende, Weihnachtsfeiern, Gedenkveranstaltungen, Filmvorführungen und weitere Zusammenkünfte organisiert, um den Zusammenhalt untereinander und enge Verbundenheit zu bekunden.Nicht zuletzt pflegt der Rommerzer Verband der Egerländer gute Kontakte mit der benachbarten "Egalanda Gmoi" in Flieden.

Die Nahrungsmittelbeschaffung über Lebensmittelkarten ermöglicht eine Versorgung mit dem Notwendigsten in bescheidener Form. Zur Überlebensstrategie gehören das Sammeln von Brennholz, das Beerenpflücken und das Pilzsuchen, das Ährenlesen und das Stochern nach Kartoffeln auf den bereits abgeernteten Feldern. Auch Fallobst wird zur Kostbarkeit. Einige Frauen bewähren sich als geschickte Schneiderinen wie auch als tüchtige Hlferinnen in Haus und Hof un in der Landwirtschaft. Allmählich kommen sich Einheimische und Vertriebenen im Sinne der Verständigung näher, sodass manche Notlage gemeinsam bewältigt werden kann.

Die Rommerzer Vereine bewähren sich zudem als geeignete Faktoren gegenseitigen Verstehens. Im Sport- und Gesangverein, in der Feuerwehr und im neu gegründeten Kegelklub finden interessierte Egeländer leicht gesellschaftlichen Anschluss. Gleichermaßen bemühen sich die Kirchen, Zuversicht zu vermitteln, Trost zu spenden und Stärkung durch den Glauben zu schenken.

Für uns einheimischen Schulkinder erwachsen mit der Aufnahme der Vertriebenenkinder, wie ich mich entsinne, keine Probleme. Die "Neuen" gehören einfach dazu. Gelegentliche Streitereinen wie auch beleidigende Ausdrücke mag es gegeben haben. Auffällig ist das Bildungsstreben der vertreibenen Familien. So weise ich darauf hin, dass beispielsweise unsere Mitschüler/ -innen Isolde Gasberger, Ursel Reichenauer, Ehrenheid Ficker, Peter Schubert und Dieter Reichenauer alsbald Fuldaer Gymnasien besuchen. Nach der Währungsreform 1948 und der Umsetzung der Marshallplan - Hlife durch die USA beginnt der Wiederaufbau des zerstörten Deutschland. Auch für die Heimatvertriebenen verbessert sich die wirtschaftliche Lage allmählich. Einige Familien verlassen Rommerz und begründen in Südhessen eine neue berufliche Existenz.

Große Beachtung findet die Bereitschaft von Alfred Rau,den Vorsitz des Vereins Blau - Weiß Rommerz zu übernehmen. Ein schönes Beispiel für gelungene Integration, wie ich meine. Er führt den Verien zu einer nie mehr erreichten Höhe. Leider geht das entscheidende Spiel gegen Buchonia Flieden um die Meisterschaft, verbunden mit dem Aufstieg in die Bezirksklasse, mit 2 : 3 verloren. Leider sind die Leistungen für des Vorsitzenden für den Fußballverein in ungenügender Form, wie ich meine, gewürdigt worden. Die kommunalpolitischen Ambitionen von Herrn Rau, aufgestellt als Gegenkandidat des seitherigen Bürgermeisters, das Amt des Bürgermeisters von Rommerz zu erringen, schlagen allerdings fehl.

Beispielgebend für den Fußballsport erwähne ich voller Achtung das langjährige Engagement unseres Mitschülers Rudi Zährl. Über den Zeitraum von mehr als Jahrzehnten jagt er für "Blau Weiß" dem Ball nach. Im Weiteren obliegt es mir, an die Familie Hackl zu erinnern, die zunächst im Schwesternhaus Unterkunft findet und nach kurzer Zeit am Bahnhof Neuhof eine Fahrradwache eröffnet. Hinzu kommen, dank aufmerksamem Geschäftssinn, ein Taxi- und Bestattungsunternehmen. Jeder Rommerzer kennt Franz Kraus, vornehm, freundlich und gesprächsfreudig und insbesondere geschätzter Fotograf bie feierlichen Anlässen und Familienfesten im Ort. Seine Fotos bereichern zahlreiche Familienchroniken. Vergessen will ich nicht, Herrn Müller Lob und Anerkennung zu zollen, der in den Jahren seiner Rüstigkeit anlässlich des Fronleichnamfestes den Altar auf dem Gelände der Bäckerei Eckert (alter Bäcker) aufs Prächtigste gestaltete. Die wenigen Beispiele, die ich hier aufzeige, weisen darauf hin, dass viele Vertriebene im Fuldaer Land neue Wurzeln geschlagen haben. Nicht zuletzt entstehen Eigenheime in der angenommenen neuen Heimat. Auch die Liebe junger Menschen untereinander bewirkt ihr Bestes. Aus anfänglicher Annäherung werden Partnerschaft und Eheversprechen. Hier kommen mir mindestens 16 Trauungen zwischen Einheimischen und Neubürgern in Erinnerungen.

Heutige Besuche in der angestammten Heimat, als Heimwehtourismus apostrophiert, mögen tröstlich sein, können aber Gefühle großer Enttäuschung und Wunden erfahrenen Leids kaum verhindern. Die jungen Generationen beider Länder setzen nachdrücklich auf Verständigung und Versöhnung wie auf ein Erstreben gemeinsamer und friedlicher Ziele in der eropäischne Völkergemeinschaft.

Erwin Rübsam rem 112012