© Heimat und Geschichtsfreunde Rommerz

 

Aus dem Jahrbuch 1994 des Landkreises Fulda

Mit einem freundlichen Gruß fing alles an……

Heute hat Ruth Lipka aus Rommerz 16 „Adoptivenkel“/ kleine Geschenke entschädigen für regelmäßige Besuche

Von Helmut Laibach, Neuhof – Hattenhof

 

Wie oft habe ich ältere Menschen schon einmal sagengehört: „Für meine Enkel habe ich mehr Zeit, als ich für meine eigenen Kinder, jemals hatte…..“ Darin mag durchaus das Geheimnis liegen. Warum Kinder – zumal dann, wenn sie noch nicht die Grundschulzeit beendet haben – sehr an ihren Großeltern hängen. Diese haben – zumeist bereits im verdienten Ruhestand – in der Tat die Zeit, um sich mit den Kleinen zu beschäftigen. Es sei mir gestattet, eine eigene Erinnerung einzuflechten: In meiner Kindheit und den Jahren der frühen Jugendzeit gab es nicht einen freien Tag, an dem ich nicht mit meinem Fahrrad, mit dem Milchtransporter, dem Postauto, dem Bus oder gar zu Fuß von Hünfeld nach Hofaschenbach gelangte, um dort bei den Großeltern zu sein. Sie hatten immer zeit für mich. Am schönsten war es an Wintertagen: Da spielten wir Karten, Oma und Opa erzählten von früher und vor dem Zubettgehen bekam ich stets ein Märchen vorgelesen; das freilich galt nur bis zu dem Zeitpunkt, als ich eingeschult wurde. Dann hieß es, Bücher selbst in die Hand nehmen und lesen…

Ich habe mir als kleiner Steppke ausgemalt, wie arm doch die Kinder dran sein müssten, die gar keine Großeltern mehr hatten. Um ehrlich zu sein, ich konnte es mir gar nicht vorstellen, irgendwann einmal keinen Opa und keine Oma mehr zu haben.

In Rommerz bin ich aufgrund eines Gespräches mit Schülerinnen und Schülern auf etwas Interessantes gestoßen: Dort wird die fast 80jährige Ruth Lipka, eine im Ruhestand lebende ehemalige Krankenschwester, von vielen jungen Leuten gleichsam als Leih-Oma angesehen. Selbst die heute 20jährige Nicole besucht Ruth – sie dürfen sie alle beim Vornamen nennen – regelmäßig. Von der 15jährigen Diana und ihrem gleichaltrigen Klassenkameraden Patrick über die siebenjährige Inka Marina bis hin zum einjährigen Felix bekommen all – 16 Kinder und Jugendliche – von Ruth Lipka zu Ostern Geschenke; gefüllte Tüten oder bunte Nester.

 

 

Es steht außer Frage, dass man seine Leih-Oma Ruth regemäßig besuche – immer ohne Anmeldung. Das sei so ein- oder zweimal die Woche der Fall. Angefangen habe alles mit einem freundlichen Gruß. Wenn die Älteren der „Adoptivenkel“ zusammen spielten - so Diana -, sei Ruth des Öfteren vorbeigekommen und habe sich über einem Gruß sehr gefreut. Die Belohnung für das freundliche Hallo seien stets Süßigkeiten gewesen, die Ruth verteilt habe. So sei ein Vertrauensverhältnis zwischen den Kindern aus der Nachbarschaft und der heute fast 80jährigen Ruth Lipka aufgebaut worden. Beim ersten Besuch in der Wohnung habe eine Schale mit Bonbons auf dem Tisch gestanden; die sei auch heute immer gefüllt, erfuhr ich von den Rommerzer Jugendlichen, die ihre Leih-Oma in regelmäßigen Abständen besuchen.

„Der erste Besuch bei ihr hat uns so gefallen, dass wir immer wieder gerne zu ihr gehen“, berichtete der 15jährige Patrick. Man kaufe ihr schon einmal ein, bringe die Post weg und höre sehr gerne zu, wenn die pensionierte Krankenschwester so lebendig aus ihrer Jugend erzähle. Im Übrigen sei sie eine Frau, die gut zuhören und auch gute Ratschläge geben könne. „Als ich einmal krank war und mich übergeben musste, hat sie mir einen Tee nach eigenem Rezept und selbstgesuchten Zutaten zubereitet: der hat zwar nicht geschmeckt, aber er hat geholfen“, erinnert sich die 15jäährige Diana. Wichtiger wohl als der Tee sei sicher die Tatsache gewesen, dass Ruth so gut zugehört und so tröstende Worte gefunden habe….

Vor fünf Jahren – zum 75. Geburtstag ihrer Leih Oma – wollten die Kinder und Jugendlichen Ruth Lipka auch einmal eine besondere Freude bereiten ; und so gaben sie in der Fuldaer Zeitung eine glückwunschanzeige auf, ohne vorher etwas davon erzählt zu haben. Die Überraschung gelang: Die Hochbetagte, die immer ein Geschenk und ein offenes Ohr für ihre 16 „Adoptivkinder“ hat, war die Beschenkte. Aber Besche3nte sind ganz offensichtlich beide Seiten: die Kinder und Jugendlichen und eine heute fast 80jährige Mitbürgerin, die nicht abseitssteht und das Wort von der Isolation in der Gesellschaft nicht kennt. Erinnern wir uns zurück: Mit einem freundlichen Gruß von spielenden Kindern hat alles begonnen; ein Zeichen das Mut macht….

Frau Ruth Lipka war wohnhaft in der Hauswurzerstraße 18.

rem 112021